Psychologie — True-Crime: Gewalt, Mord, Totschlag – der Trend rund um True-Crime-Fälle ist anhaltend. Doch was steckt eigentlich hinter dieser morbiden Faszination und warum üben diese Fälle solch eine starke Anziehungskraft auf uns aus? Hier erfährst du, was der Reiz an diesem Nervenkitzel über uns aussagt.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet True Crime?
True Crime bezeichnet Medieninhalte wie Filme, Bücher und Podcasts, in denen authentische Verbrechen – hauptsächlich Morde und Gewaltverbrechen – detailliert behandelt werden. Neben den Ermittlungen stehen oft auch die Perspektiven der Täterinnen und Täter im Fokus.
Die Faszination für wahre Verbrechen existiert laut der Psychologin und Sachbuchautorin Lydia Benecke und vielen weiteren Expert:innen schon seit längerer Zeit. Doch aufgrund des wachsenden Angebots an True-Crime-Formaten hat dieser Trend aktuell eine noch größere Bedeutung erlangt.
Warum beschäftigen wir uns so gerne mit diesen brutalen und schockierenden Geschichten, obwohl es eigentlich sinnvoller wäre, uns von solchen potenziellen Gefahren und traumatischen Themen fernzuhalten?
Psychologie True-Crime: Warum fasziniert einige Leute der Nervenkitzel?
Die Forschung zu diesem Thema befindet sich noch in den Anfängen, dennoch befassen sich Psycholog:innen und Psychiater:innen wie Lydia Benecke, Dr. Steffen Lau, Prof. Dr. Borwin Bandelow sowie zahlreiche Universitäten zunehmend mit dieser Fragestellung. Es gibt bereits verschiedene Theorien.
Zunächst einmal sind besonders aufsehenerregende Fälle – wie die eines Serienmörders – emotional sehr intensiv. Und das weckt unsere Aufmerksamkeit. Dinge, die herausstechen, ziehen uns an, und starke Emotionen wie Angst, Wut und Trauer spielen eine wichtige Rolle in unserem Leben. Es geht auch darum zu lernen, wie wir mit solchen Gefühlen umgehen können, und das geschieht am besten in einer geschützten Umgebung. So können wir uns mit solchen schaurigen Geschichten auseinandersetzen, Extremsituationen durchdenken, ohne uns tatsächlich in Gefahr zu begeben.
Zudem stellt sich (unbewusst) die Frage: “Was wäre, wenn…?” Wie würdest du reagieren, wenn du selbst einem solchen Verbrechen zum Opfer fallen würdest? Was wäre, wenn du plötzlich unschuldig auf der Anklagebank sitzen würdest? Könntest du ähnliche Taten begehen wie ein Täter oder eine Täterin, wenn du ihre Lebensgeschichte hättest?
Wir stellen uns solche Fragen, um uns unbewusst zu schützen, erklärt Lydia Benecke in einem Interview mit dem Spiegel. Viele True-Crime-Formate befriedigen genau diese Neugier und diese Emotionen.
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True Crime – das Verlangen nach Angst Ähnlich wie bei Horrorfilmen oder fiktiven Kriminalgeschichten spielt auch das Verlangen nach Angst eine wichtige Rolle. Es ist vergleichbar mit einer Achterbahnfahrt: Du steigst ein, fühlst Angst oder Nervosität, möchtest vielleicht sogar aussteigen. Doch wenn die Fahrt vorüber ist, der Fall gelöst und die Angst langsam abklingt, werden euphorische Hormone wie Adrenalin und Endorphine freigesetzt, die ein Hochgefühl auslösen. Diese Hormone wirken länger als die Angst selbst, wodurch dieses positive Gefühl stärker im Gedächtnis haftet. Das Resultat: Du möchtest diese Euphorie erneut erleben, auch wenn du dafür zuvor Ängste durchleben musst.
Bei True Crime ist der Nervenkitzel sogar noch intensiver, da die Geschehnisse der Realität entsprechen. Anders als in fiktiven Horrorfilmen können wir nicht sagen “es ist alles erfunden”. Diese Menschen, diese Täterinnen und Täter, existieren oder existierten wirklich. Theoretisch könnten wir ihnen begegnen. Dennoch fühlen wir uns weit genug entfernt, um uns nicht unmittelbar bedroht zu fühlen.
Was interessiert Menschen an True-Crime?
Es gibt natürlich noch zahlreiche weitere Vermutungen und Theorien darüber, warum Menschen sich für True Crime, Verbrechen und Täter:innen interessieren. Hier sind einige Beispiele:
Viele möchten durch den psychologischen Aspekt vieler True-Crime-Formate die Motive der Täter:innen nachvollziehen und verstehen – ohne dabei deren Taten zu entschuldigen.
Einige sind fasziniert von den Ermittlungsarbeiten, die während der Fälle durchgeführt werden.
Wir erhalten Einblicke in das Leben und die Psyche anderer Menschen, was im Alltag normalerweise nicht möglich ist.
Nach einer Folge oder einem Buch kann weiterführende Recherche über den Fall betrieben werden. Artikel, Videos und manchmal sogar Interviews bieten zusätzliche Informationen über die Hintergründe und die Persönlichkeit der Täter:innen.
Trotz des Interesses an realen Verbrechen besteht ein starkes Bedürfnis nach einem positiven Ausgang und Gerechtigkeit, so Benecke.
Frauen lieben True-Crime mehr als Männer?
Die Hintergründe Medienstatistiken zeigen, dass True-Crime-Inhalte, sei es in Magazinen oder Podcasts, vorwiegend von Frauen konsumiert werden. Nur wenige Männer scheinen diesem Trend zu folgen. Doch warum ist das so?
Eine Theorie besagt, dass Frauen durch das Lesen oder Anhören dieser Fälle erfahren möchten, wie sie sich verteidigen und verhalten können, sollten sie selbst einmal Opfer werden. Eine Studie des Max-Planck-Instituts und des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2017 unterstützt diese Annahme. Demnach fühlen sich Frauen in der Regel unsicherer als Männer und schätzen die Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden, als höher ein. Das verstärkt die Vermutung, dass Frauen sich zwangsläufig intensiver mit solchen Themen auseinandersetzen.
Psychologin Lydia Benecke sieht das weibliche Interesse an True Crime jedoch anders, wie sie im Podcast “ÄrzteTag” erläutert. Ihrer Meinung nach sind Frauen generell stärker daran interessiert, Menschen, ihre Geschichten, Motive und Psychologie zu verstehen als Männer. Dadurch ist das Verlangen, Täter:innen und ihre vermeintlich unverständlichen Taten zu ergründen, größer. Daher konsumieren Frauen häufiger Podcasts, Serien, Filme und Bücher, in denen diese Aspekte beleuchtet werden.
Wenn du ein Fan von True Crime bist, kann es viele Gründe dafür geben – sowohl bewusste als auch unbewusste. Es gibt zwar noch nicht viele wissenschaftliche Untersuchungen dazu, doch Forscher:innen, Psycholog:innen und Medienwirkungsforscher:innen befassen sich zunehmend mit diesem Thema und werden in Zukunft sicherlich noch mehr Erkenntnisse über dieses Phänomen liefern.
