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Eine Kolumne von Gastautor Volker Lüdecke
Wer erinnert sich nicht an die Bilder von 9/11, als zwei Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade Centers einschlugen? Es waren die Videobilder, die uns vor den Bildschirmen festhielten, die Nachrichten vom Attentat hielten manche nicht mal für wahr.
Als später Lady Di bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, weinten viele um sie. Wegen der Blumen- und Kerzenbilder, manche kannten Lady Di vorher nicht einmal.
Als gewaltige Tsunamis die Küsten Asiens überschwemmten, saugten die Videos der einbrechenden Wassermassen die Straßen bei uns leer. Als es das Kernkraftwerk Fukushima traf, sagte sich die Politik nicht zuletzt wegen der Bilder von der Atomenergie los.
Möglicherweise haben uns Bilder aus Italien vor dem Schlimmsten in der Coronakrise bewahrt. Der Abtransport der Leichen in Transportern der italienischen Armee, das waren Schockmotive, sogar notorische Zweifler fügten sich den Behörden.
Aber was geschieht, wenn es keine Fotos oder Videos von einer Katastrophe gibt?
Keine Betroffenheit, keine Reaktion?
Was mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, existiert nicht?
Die kugelrund aussehenden Viren mit ihren lustigen Puscheln, die man uns grafisch aufbereitet als Beweisfotos ihrer Existenz vor Augen führt, sind nicht die einzigen unsichtbaren Ursachen für menschliches Leid. In der Nanoforschung hantiert man ziemlich bedenkenlos mit winzigen Teilchen, die so klein sind, dass sie mühelos durch unsere Haut und durch Zellwände wandern können. Wohin wandern sie in unseren Körpern, wer beschützt uns davor?
Weitflächig eingesetzt, beispielsweise bei der Pflege von Autolacken, schwirren Nanoteilchen im aufgewirbelten Staub der Straßen in der Atemluft umher, zusammen mit winzigen Mikroplastikteilchen, die sich längst in unserer Umwelt ausgebreitet haben, in Böden und im Wasserkreislauf.
Ahnungslos kaufen wir im Supermark unser Lieblingsgetränk, doch in der Flasche reisen winzige Mikroteilchen jener Einkaufstüten mit, die wir vor Jahren an der Kasse noch für umsonst mitgenommen haben.
Eine unsichtbarere Katastrophe gibt es fast nicht.
Wie viel Plastik verträgt der Mensch?
Diese Frage könnte der Titel eines Podcasts sein.
Findige Journalisten, Redakteure, Sprecher und Audiopropheten haben sich vor nicht allzulanger Zeit aufgemacht, Audio neu zu erfinden. Weil sie gemerkt haben, wie lückenhaft und manchmal irreführend die Bildergeschichten sind, die einem überall ins Auge stechen. Vielleicht hatten manche von ihnen einfach keine Lust mehr auf die Bilderflut der Werbung und öde, immer dasselbe abspielende Hörfunkkanäle.
Eine neue Pionierzeit begann, Audio war plötzlich gefragt.
Manche bewiesen in ihren Podcasts, wie Audio anders als gewohnt funktionieren kann. Interessanter, als sich während einer Autofahrt hirnlos beschallen zu lassen. Klar, man muss auch mal abschalten, aber Stunden auf der Autobahn nur mit Chart-Musik aus Lautsprecherboxen?
Audio kann sozial sein, sozialer als Video.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ heißt ein altes Sprichwort, aber stimmt das auch heute noch?
Während Video unsere Emotionen triggert und beeinflusst, richtet sich Audio an unseren Verstand. Jeder kann ein peinliches Video ins Netz stellen und Tausende lachen, aber was bringt Schadenfreude uns allen am Ende ein?
Hat es irgendwem genützt, wenn wir andere zu Idioten machen?
Verborgenes durch unsere Stimmen ans Lichtbringen, Unsichtbares durch Worte vorstellbar werden lassen, so werden Geheimnisse gelüftet. Audio fördert Vorstellungsvermögen, der eigene Kreativmotor springt an, um unseren Verstand zu fordern.
Das Kleinste erkennbar werden lassen, das kann im Prinzip jeder, der wach ist und aufmerksam. Die Produktionsmittel für einen Podcast kosten nicht mehr die Welt. Manchmal genügen eine App für´s Smartphone und ein Mikrofon, um die Idee einer neuen Sendung hörbar werden zu lassen.
Ausprobieren, wer wurde schon als Profi geboren?
Kleines Quiz am Rande: Wer hat die nervigste Stimme und wurde trotzdem ein Rockstar? Richtig, Udo Lindenberg, der alte Rocker.
Mit einem Lächeln auf den Lippen gegen radioaktive Strahlung und Plastik anstinken, das Mysterium der Stimme mit Unter-, Zwischen- und Obertönen gegen die Klimakrise einsetzen, hört sich das etwa verrückt an?
Wer sich nützlich macht in der Welt, hat irgendwann auch Erfolg. Verdiente Anerkennung zu ernten, ist tausendmal schöner, als Herzchen zu sammeln für den nächsten sinnfreien Post. Ich weiß, die meisten scheitern am Anfang. Die erste Aufnahme der eigenen Stimme, Wahnsinn, fast sicher ein Schock. Die erste Enttäuschung auf dem steilen Audiopfad. Jeder hört sich selbst nämlich anders, als andere einen hören.
Für viele der große „Nie-wieder-Faktor“, der Audio-Killer.
Hätte wohl jemand dem Schlagzeuger Lindenberg am Beginn seiner Karriere prophezeit, er würde eines Tages vom Klang seiner Stimme und seinen Songtexten leben können? Mit allem Luxus und so? Nie, niemals! Als er sein Trommelsolo zum Tatortlogo der bekannten TV-Serie aufnahm, dachten bestimmt alle, der Junge wird mal ein dicker, runder Familienvater. Seine Stimme klingt extrem eigen, aber schön?
Die wenigsten bekommen als Geschenk der Natur eine Opernstimme in die Wiege gelegt. Na und? Quatscht keine Opern, haut eure Texte raus!

Volker Lüdecke lebt in Berlin und ist freier Autor bei Drei Masken Verlag, razzoPENuto, stueckgutverlag und Felix Bloch Erben und schreibt für FAZ und Die Welt. Nächste Theaterereignisse mit seinen Texten: fringe ensemble und Turbine Theater

Sabrina Wehrhausen
1. September 2020 at 06:24
Ein toller Beitrag mit Unterhaltungspotenzial!